AM60 – Brief an Walter Gropius
New York, Samstag, 11. März 1911


11 März

Mein Lieb —

Ich habe lange geschwiegen – mein Grund war ein trauriger. ist seit 3 Wochen ernst krank. Ich bitte Dich aber dringend, niemandem etwas davon zu sagen – ich will nicht, dass es erfahren wird. –

Heute war ich das erste Mal aus. Freunde hatten mir ihr Auto geschickt – ich fuhr hinunter nach

wallstreet. – Da fand ich Dein Leid. – Da Dein armer lange krank war – ist es für ihn Erlösung – nur Ihr armen, erschreckten Menschen fühlt plötzlich die harte Hand Eure Herzen zerdrücken – und Euer Lebensmut sinkt. Ich bin bei Dir u. helf Dir – tragen. – Ach – könntest Du so mir auch helfen. Es ist mir sehr elend zu Muth. —

hat ein rheumatisches Fieber – bei seinem


Herzen – eine böse Sache. Es kann noch wochenlang dauern. – Ich thue, was ich kann. Ich möchte, mein Leben hingeben, um seines gut und schön zu verlängern. – Diesem wunderbaren, herrlichen Menschen helfen! – Ratlos sitze ich an seinem Bett – alle Stunden des Tages. – —

Mein Lieb – was denke ich nicht so alles im Kreis herum – an diesen langen Tagen[.] — – Ach – wie f werden wir hervor

gehen aus diesem Kampf. Harre[,] mein Herz. Dieses Harren kann Dich nur veredeln, verfeinern. – Und wohl hattest Du recht. In Tobelbad lebten wir ein Kunstwerk, – ohne es zu wissen!

Seligste Zeit!

Ob sie je und so wiederkehren wird!?

Ich umarme Dich – mein Liebster, – mein Leid ist Deines – und Deines – meins[.]


Apparat

Überlieferung

, , , .

Quellenbeschreibung

1 DBl. (4 b. S.) – Briefpapier.

Beilagen

Umschlag, , Germany | Berlin W. | Nicolsburgerplatz 4 G. IV | Herrn Walter Gropius; PSt.: GRAND CENTRAL, STA. N.Y. | MAR 11 | 12 – PM | 1911; von WG mit einer 15 versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen).

Druck

, S. 109f. (partielle Inhaltsangabe), , S. 1254, bei Anm. 101 (Auszug in engl., teils lückenhafter Übersetzung).

Korrespondenzstellen

Antwort auf WG123 vom kurz vor 19. Februar 1911 (ich wünschte ihm eine baldige Erlösung): Da Dein armer Vater lange krank war – ist es für ihn Erlösung, WG124 vom 19. bis 21. Februar 1911 (Ich weiß ihn befreit von der Not der Welt): Da Dein armer Vater lange krank war – ist es für ihn Erlösung und/oder WG125 vom 19. bis 21. Februar 1911 (ich bin traurig, daß Du meinen Vater nicht mehr kennen lernen solltest): Heute war ich das erste Mal aus. […] ich fuhr hinunter nach wallstreet. – Da fand ich Dein Leid. – Da Dein armer Vater lange krank war – ist es für ihn eine Erlösung. Beantwortet durch WG128 vom 19. bis 23. März 1911 (Wenn ich ir irgend etwas für Ihn tun könnte \kann/ so würde sollte es mit Freuden \ganzer Seele/ geschehn): Gustav ist seit 3 Wochen ernst krank.

Datierung

Schreib- und Absendedatum: „11. März“ (, S. 109), „11 Mar. 1911“ (, S. 1254, Anm. 101).

Datiert durch AM und Poststempel: 11[.] März 1911.

Übertragung/Mitarbeit


(Elke Steinhauser)
(Fabian Müller)


A

Gustav ist seit 3 Wochen ernst krank. – vgl. Erinnerungen: „Am 20. Februar stellte sich wieder Fieber ein, Halsschmerzen, Belag, und wollte unbedingt am 21. dirigieren“ (, S. 236). Für die letzten Konzerte der Saison, ab dem 24. Februar 1911 in Washington, D.C., sprang Konzertmeister – und am 3. März – ein (, S. 309–316; , S. 337). Die von Arzt, , eingeholte Expertise einer „Blutuntersuchung […] erbrachte: Streptokokken“ , S. 239), s. AM62 vom 25. März 1911: recurrirende Endocarditis.

B

wallstreet – s. AM44 vom 1. November 1910: Wall Street.